Arnhelm Neusüss bedachte und vermittelte als Hochschullehrer die Geschichte der gesellschafts- und politiktheoretischen Entwürfe. Seit Ende der Dienstzeit versucht er, seine Einsichten mit seinen Erfahrungen zu verbinden. Dem folgt die lyrische Form.
Weitere Informationen finden sie auf der Website des Autors unter www.arnhelm-neusüss.de.
Fragen an den Dichter
Böhland&Schremmer: Lieber Arnhelm Neusüss, wir möchten Ihren Lyrikband dem Leser nahe legen und fragen Sie zunächst, warum treten Sie erst jetzt, also erst nach einem Berufsleben in der Wissenschaft, mit Gedichten hervor? Arnhelm Neusüss: Gute Frage – sagt man ja heute zu scheinbaren Ungereimtheiten. Aber bitte: eigentlich wollte ich überhaupt nicht hervortreten. Hätten Sie mich nicht zufällig gefunden, ich wäre ganz geheim geblieben. Zwar habe ich als ambitionierter Jüngling in den sechziger Jahren hier und da Lyrik publiziert, doch läßt sich von Poesie ja nicht leben, und keinesfalls wollte ich mich dem Literaturbetrieb opfern. Vor allem aber schienen mir die innere wie die äußere Welt zu komplex und kontingent, um irgend etwas besser wissen und Urteile fällen zu können. Redlicherweise sollte man erst mal etwas lernen … . B&S: Das ist nun lang her und inzwischen hat der Markt auch der Dichtung ein windschlüpfriges Design verpaßt, dem sich Ihre Sachen nicht recht fügen wollen – so lehnte es z. B. das Münchener Lyrik-Kabinett ab, Ihr erstes Bändchen, BilderBuch, auch nur in seine Bibliothek zu stellen, weil es sich… AN:… nicht „stimmig zum Charakter unserer Sammlung verhält“*. Ja, und genau so ist es! Auch wirklich gut gesagt. Ein schönes Indiz für die Lage der Lyrik in Deutschland. Im beigefügten Essay versuche ich, sie mit Blick auf Benn und Rühmkorf zu erklären. Es ist die postmoderne Lage objektiver Ironie: das nun erreichte Hochplateau im Dunst, worin sich die laufende Lyrikproduktion wieder einmal in der Privatpathetik des ‚Blümchenverduftens’ und ‚Landschaftsbeträumens’ ergeht, die Gottfried Benn vor sechzig Jahren … B&S: …jetzt übertreiben Sie aber, es gibt doch … AN: …mag sein, aber was man so aus der Zeitung mitkriegt, das sind Selfies, wie ichs nenne, formlos und ohne ideelle, sozietäre, historische Reflexibilität. Das entspricht der bezeichneten Gegenwartslage: im Zuge ihres frappanten Gewinns an individuellem Bewegungsraum sind dem Dichten die Dimensionen ihrer Gewordenheit, ihrer Bedingungen und damit ihrer Perspektiven verloren gegangen, also kurz: das Denken … B&S: Aber das klingt ja wie Kulturkritik! AN: Oweh! Was hab ich mit Kritik zu tun, sagt Nietzsche. Aber in der Tat: die gründliche Verwandlung der pathetisch heroischen Moderne in die ironische oder Postmoderne hat so viel an kulturtraditionellem Wissen und ästhetischer Bewusstheit gekostet, dass nun schon kleine Reminiszenzen an enge Verständnisgrenzen stoßen. Da mögen ein paar erläuternde Beigaben hilfreich sein, hoffentlich reichts … B&S: Hoffen wirs! Lieber Arnhelm Neusüss – vielen Dank!